Samstag/Sonntag, 5./6.Februar 1994 ..............................................................ARCHITEKTUR............................................SPECTRUM

Das Haus auf der Lichtung: ein alter Topos - und für jeden engagierten Architekten eine reizvolle Aufgabe. Besonders wenn ein einsichtsvoller Bauherr ein zeitgenössisches Haus für sein Waldrefugium bestellt. Rudolf Prohazka hat diese Aufgabe nahe Wiener Neustadt gelöst: mit feinfühlig komponierter Architektur.

 

 

Von Walter Zschokke

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Das Haus des Försters, in dem der Fundevogel aus Grimms Märchen zusammen mit seiner Ziehschwester Lehnchen aufwuchs, muß - so denke ich - in einer Waldlichtung gestanden sein; auch Rotkäppchens Großmutter hatte ihr Häuschen mitten im Wald an einer Stelle, wo die Bäume ausgelichtet waren. Und in den "Studien" Adalbert Stifters stoßen wir da und dort auf den romantischen Topos des Hauses im Wald, in dem eine kleine Gruppe von Menschen in trauter Weltabgeschiedenheit ein ungestörtes Beisammensein pflegt.

Eine Lichtung im finsteren Wald ist ein von der Geistes- und Kulturgeschichte in vielfältiger Weise mit Bedeutung bedachter und beschwerter Ort. Darum ist es für einen engagierten Architekten eine besonders interessante Aufgabe, wenn ihm ein Bauherr den Auftrag erteilt, für eine Waldlichtung ein Wohnhaus zu entwerfen. Als Architekt Rudolf Prohazka den Baugrund erstmals besichtigte, stand darauf ein in mehreren Phasen errichtetes Wohngebäude von eher trauriger Gestalt. Der Zugang führt durch einen Hohlweg, und der Ankommende sieht zunächst außer Bäume gar nichts, muß eine kleine Geländestufe überwinden und befindet sich alsbald zwischen locker stehenden Föhren- und Fichtenstämmen.

Das leicht ansteigende Gelände weitet sich zu einer Wiese, der das alte, verschachtelte Gebilde den Rücken zeigte. Sowohl konstruktiv als auch bauphysikalisch war an einen Weiterbestand nicht zu denken. Nun ist Rudolf Prohazka ein außerordentlich geländefühliger Entwerfer; zudem fand er an Teilen des Altbestandes Gefallen. Die aus Kalksteinen grob gefügten Stützmauern, den Kamin und den aus einer einfachen Holzhütte bestehenden historischen Kern wollte er bewahren und den Neubau darauf beziehen - oder darum herum bauen. Damit stellte er sich selbst eine Aufgabe, die unabhängig von den Wünschen der Bauherrschaft bestand.

Für seinen Entwurf interpretierte er die Lichtung als Freiraum, der an den Rändern vom Waldsaum gefaßt wird. Die gesamte Weite der Waldwiese wollte er mit seinem Entwurf - im übertragenen Sinn - zum Wohnbereich machen, in dem deutlicher definierte Rückzugsräume locker zueinandergestellt sind. Dazwischen und darunter liegende Raumzonen werden durch großformatige Glaswände klimatisch geschützt, gehen zu gleich fast übergangslos in den Außenraum über, wie der Blick von der Wohnhalle in den Gartenhof zeigt. Große Teile der Dachfläche sind begehbar, über eine Stiege und eine Rampe zu erreichen und werden somit Teil der Landschaft.

Wir stehen vor einem Gebilde, das nicht sofort als Haus mit Ziegeldach mit Mauern erkannt werden kann; ja es scheint sich gegen das verstehen zu sperren, wenn man nur das Medium der Photographie zur Verfügung hat und der Rolle, die der Waldlichtung als umgebendem Raum zukommt, nicht gewahr wird. Das Haus selbst ist nur ein Teil des Ganzen; die Bäume, die Wiese, der Raum der Lichtung gehören zur Gesamtwirkung.

Die Grundrißkonfiguration läßt sich als Rechteck beschreiben, das quer zwischen die bestehenden Bäume gestellt ist, sodaß vorn der Zugang und hinten die Waldwiese liegt. An den Schmalseiten verdichten sich die Baumaterialien zu weißen Mauerscheiben und definieren unter nach innen geneigten, flachen Pultdächern an der einen Seite (wo auch der Eingang liegt) drei Zimmer und an der anderen Seite den Kaminplatz. Dazwischen liegt - in einer vornehmlich in Glas gehüllten Zone - die hölzerne Urhütte des Altbestands mit Küche und Eßplatz. Sie wird von vier runden Betonstützen sanft in die Mitte genommen, die ähnlich den Bäumen draußen nahe an der Gebäudewand stehen. Diese tragen das flache Dach mit der darauf befindlichen Sonnenterrasse und sind zugleich eine Reverenz an das klassische Vierstützenhaus.

Im Obergeschoß wurde ein langgezogener Quader, der nach hinten - weit über das Gebäude hinaussteht und separat abgestützt wird, quer zum Grundrißrechteck über den Kaminplatz gelegt. Er enthält den Schlafraum der Eltern, der rückseitig eine kleine Terrasse mit einer luftigen Treppe zur Waldwiese aufweist. Nur wenige, meist kleine Fenster bieten Ausblick. Doch zum Himmel ist die Decke mit einer großen Öffnung versehen, sodaß nachts die Sterne hereinscheinen. In dem auf kantigen Pfeilern aufgeständerten Schlafraum, von weißen Mauern geborgen und mit Bäumen eingefaßt, den Blick zum Himmel offen, muß es sich wundersam träumen lassen.

Als Gegenbewegung zum nach hinten vorstehenden Quader stößt eine Balkonplatte nach vorn aus dem Volumen heraus. Sie wird von schlanken Stahlrohren gestützt, die mit den benachbarten Stämmen kommunizieren - ein idealer Platz für das Frühstück zwischen Baumkronen.

Als einzige Wand des ganzen Gebäudes, die "schräg" verläuft, wurde die mehrheitlich gläserne Vorderfront leicht ausgedreht, sodaß man - von rechts vorn kommend - über ein paar Stufen zur Eingangstüre gelangt. Das Haus tritt dem Heimkehrenden gleichsam etwas entgegen: Die Wand öffnet sich einen Spalt weit, durch den man schlüpfen und in die Hauslandschaft eindringen kann.

Vor der Eingangstür steht als Hüterin eine nicht mehr ganz junge Birke, deren elegant geschwungener Stamm während der Bauzeit sorgfältig geschützt wurde. Birken sind wegen ihres weißen Stammes recht auffallend und treten zur Architektur stärker in Beziehung als andere Bäume. Zudem bildet diese hier einen deutlichen Gegensatz zu den Föhren und Fichten. Ihre Stellung nahe beim Haus schafft eine Vorzone, die der Architekt mit einem etwas größeren Absatz zwischen den Stufen akzentuiert hat.

Die Wohnzone des Hauses liegt hallenartig zwischen hölzerner Küchenhütte und Kaminplatz. Nach vorn schützt noch eine Mauerscheibe, nach hinten öffnen sich große Glaswände zu einem Gartenhof mit Kirschbaum und zur Waldlichtung. Auch zwischen aufgeständertem Schlafhaus und dem nahezu schwebenden Terrassendach verläuft ein breites Glasband. Es betont die fast gehöftartige Gliederung der Anlage.

Im etwas niedrigeren Teil unter dem Schlafhaus steht, breit schirmend, der Kamin. Wenn man davor sitzt, befindet man sich einerseits fast zwischen den Bäumen, die nahe hinter den Glaswänden stehen; andererseits ist man doch vor Wind und Wetter geschützt.

Vor dem Kaminplatz schwingt sich eine gewendelte Treppe nach oben zum Schlafhaus; das Tragwerk ist als räumliche Spirale gestuft angeordneter Elemente organisiert, die das Tragen nicht abbilden, sondern selber wieder eine Treppe erzeugen. Treppe trägt hier Treppe, wobei das Tragen formal meisterhaft sublimiert ist. -Das leicht nach vorn abfallende Gelände der Waldlichtung wird von der alten Stützmauer vorsichtig zurückgehalten, sodaß eine horizontale Fläche entsteht. Das Wohnhaus ist nun nicht einfach mit einem Sockel auf diesen Platz gestellt. Vielmehr steht die Platte des Fußbodens über den konstruktiven Gebäudesockel einen halben Meter vor und beschattet diesen, sodaß die darüber aufsteigende Struktur zu schweben scheint.

Nur punktuell berührt das Bauwerk die Waldwiese; flüchtig scheint es auf unterschiedlichen, den nahen Baumstämmen verwandten Stützen hingestellt; fallrepartige Treppen schaffen den Kontakt zum Boden; Ernst Bloch bezeichnete derartige Bauten in seinen Ausführungen zur Architektur als "reisefertig", als Häuser, die wie "Schiffe Lust (haben) zu verschwinden".

Diese - architektonisch betrachtet - temporäre Inbesitznahme der Waldlichtung durch ein Wohnhaus ist die gestalterische Antwort des Architekten auf das weit verzweigte kulturelle Bedeutungsfeld eines derartigen Ortes. Das im Zusammenhang mit zeitgenössischer Architektur oft und gern verwendete Wort "radikal" ist hier fehl am Platz, denn das Bauwerk ist eigentlich eher verhalten; es ist feinfühlig komponiert und perfekt materialisiert. Seine Formen sind zeitgemäß, ohne modische Überhöhung und ausgerichtet auf visuelle Dauerhaftigkeit.

Vor ein paar Jahren errichtete Rudolf Prohazka ein kleines Holzhaus auf welligem Bauplatz in Ried am Riederberg - das heute leider nach einem Eigentümerwechsel von grober Hand entstellt wurde,- danach entwarf er ein Wohnhaus über der Hangkante der Pötzleinsdorfer Höhe in bester Aussichtslage; und jetzt zeigt er uns, wie er ohne falsches Pathos - im Wald zu bauen versteht. Mag sein, daß man darin auch Manifeste zu erkennen vermag. Ich sehe aber vor allem eines: eminent zeitgenössische, die topographische und die kulturelle Landschaft perfekt interpretierende Architektur.

"Die Presse"

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